Vom Zusammenbruch zum Durchbruch: Wie eine Führungskraft aus der Tech-Branche mit Depressionen umging und wie man Warnzeichen erkennt

Psychische Erkrankungen können jeden treffen, überall und in fast jeder Situation. Wie erkennt man die Warnzeichen und wie findet man die richtige Hilfe?
Wie eine Führungskraft aus der Tech-Branche mit Depressionen umging und wie man Warnzeichen erkennt

Psychische Erkrankungen kennen und respektieren keine Grenzen - sie können jeden, überall und in fast jeder Situation treffen. Vor allem, wenn sie nicht frühzeitig erkannt und diagnostiziert werden. Eine Lektion, die Dr. Thomas Reinbacher leider auf die harte Tour gelernt hat.

Reinbacher war NASA-Forscher, Manager bei McKinsey, arbeitete für Google im Bereich künstlicher Intelligenz, leitete bei Amazon das Alexa-Produktteam für den deutschen Markt - und war nach einem schweren Zusammenbruch mehr als 200 Tage in der Psychiatrie.

Mehr als zwei Jahre später geht es Reinbacher viel besser. Mittlerweile nutzt er seine Erfahrungen, um anderen zu zeigen, wie sie ein ähnliches Schicksal vermeiden können, bevor es zu spät ist. Am 14. März wird er auf dem CompTIA Community - DACH Meeting in München sprechen. Wir haben Reinbacher zu seinen Erfahrungen befragt und auch natürlich auch dazu, was die Teilnehmer während des Vortrags zu hören bekommen werden. Das sind seine Antworten.

Sie haben einen Doktortitel in Informatik und hatten hochrangige Positionen bei McKinsey, Amazon und Google inne. Das ist eine Karriere, von der viele nur träumen. Wie und warum kam es zu Ihrem psychischen Zusammenbruch und wie haben Sie ihn bemerkt?

Ja, ich hatte nicht nur eine Traumkarriere, sondern auch in meinem Privatleben - Frau, Kind, Freunde - war alles perfekt. Ich erinnere mich an den 16. September 2021, als wäre es gestern gewesen. Meine Frau schrieb diesen Tag später in fetten Buchstaben in unseren Kalender als „Totalausfall“. Damals wurde bei mir im Krankenhaus eine schwere Depression diagnostiziert, die mein Leben in seine bisher größte Krise stürzte. Es folgten zwei Episoden mit mehr als 200 Tagen in geschlossenen und offenen psychiatrischen Abteilungen und einer psychosomatischen Tagesklinik. Diese Krise dauerte zwei Jahre, in denen ich arbeitsunfähig war. Und in dieser Zeit war ich meiner Familie keine große Hilfe.

Ich hätte das alles schon viel früher sehen können. Zwei Monate zuvor hatte ich mir einen Gesundheitspodcast angehört, in dem ein Arzt die typischen Symptome einer Depression erklärte: gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Unruhe, Schlafstörungen, usw. Je mehr der Arzt erklärte, desto wacher hörte ich zu. Ich machte mir Notizen. Ich glaubte, mich in den Symptomen wiederzuerkennen. Ich war ständig müde und konnte mich nicht richtig erholen, auch nicht an den Wochenenden. Meine Batterien waren leer.

Ich habe meiner Frau von dem Podcast erzählt. Wir dachten, ok, jetzt kommt einiges zusammen (neuer Job, Kinder etc.) und die Aufregung wird sich bald legen. Das war unsere naive Schlussfolgerung. Depressionen? Ich bin doch kein Psycho! dachte ich. Was natürlich ein Trugschluss war. Nur zwei Monate später wurde bei mir eine schwere Depression diagnostiziert.

Wie schwierig war es für Sie, die Diagnose Depression zu akzeptieren und auch Hilfe zu suchen?

Anfangs schämte ich mich sehr für meine Diagnose: schwere Depression. In meiner ersten depressiven Phase versuchte ich, alles unter den Teppich zu kehren. Nur meine engste Familie und ein paar Freunde wussten wirklich, was los war. Bei der Arbeit sagte ich: „Herzrhythmusstörungen“. Das hatte ein Therapeut in der Klinik vorgeschlagen. Eine gute Erklärung für meine lange Abwesenheit. Im Gegensatz zur Depression sind diese nicht stigmatisiert. Ich wollte so schnell wie möglich zurück in mein normales Leben. Und ein Aufenthalt in der Psychiatrie macht sich nicht gut in meinem ansonsten perfekten Lebenslauf.

Während meiner zweiten depressiven Episode - die zehnmal schlimmer war als die erste, einschließlich eines Aufenthalts in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung – habe ich endlich akzeptiert, dass ich diese psychische Krankheit habe und dass ich mit ihr leben muss. Das zu akzeptieren, war bei weitem der schwierigste Teil meines Genesungsweges. Ich war immer ein sehr erfolgreicher Manager, aber jetzt werde ich nicht mehr in mein früheres Leben zurückkehren können. Das war eine harte Pille, die ich schlucken musste. Aber als ich anfing, die Situation zu akzeptieren und aufhörte, mich mit dem „alten“ Thomas zu vergleichen, machte ich langsam Fortschritte in meiner Genesung.

Sprechen Männer seltener über ihre psychische Gesundheit, und wenn ja, warum?

Ich kenne die genauen Statistiken nicht, aber aus meiner subjektiven Erfahrung heraus: ja, definitiv. In meiner Akutphase, d. h. in der Psychiatrie, habe ich auf der Station viel mehr Männer angetroffen als in der psychosomatischen Tagesklinik. In der Tagesklinik, wo in der Regel die leichteren Fälle behandelt werden, waren viel mehr Frauen als Männer. Vielleicht, so dachte ich, suchen Frauen frühzeitig professionelle Hilfe, während die Männer - mich eingeschlossen - erst dann Hilfe suchen, wenn es fast zu spät ist.

Welche Ratschläge würden Sie Unternehmensleitern in Bezug auf die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter geben?

Führungskräfte sollten ihrem eigenen psychischen Wohlbefinden Priorität einräumen. Damit schützen sie nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern sind auch ein wichtiges Vorbild für ihre Teams.

Als die Depression mein Leben zum Stillstand brachte, führte das zu einer grundsätzlichen Überlegung: Wie sieht mein Leben 2.0 aus? Heute begleiten mich drei Gedanken:

Bauch schlägt Kopf! In einer Welt, die sich immer schneller dreht, sollte man wichtige Entscheidungen mit mehr als nur dem Kopf treffen. Schließen Sie die Augen und vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl!

Gesundheit = Körper + Seele. Gesundheit ist eine Mischung aus Körper und Geist. Ihr Blutbild sagt nichts über Ihre wahren Gefühle aus. Um Ihr Wohlbefinden zu erhalten, sollten Sie sich täglich Momente der Einsamkeit gönnen. Ein ruhiger Morgenspaziergang und unstrukturierte Kreativität gehören zu meinen liebsten Routinen. Eine denkwürdige Begegnung? Zum Beispiel im Park einen Fuchs zu beobachten, der im Schein des Vollmondes anmutig einen Hügel hinaufklettert.

Sich selbst nicht vergessen! Wenn es hart auf hart kommt, wenn alles dringend und wichtig erscheint, handeln Sie kontraintuitiv! Gerade dann ist es wichtig, die Dinge zu tun, die ohnehin für den nötigen Ausgleich sorgen. Alles ist ein Marathon, kein Sprint.

Warum ist es für Sie wichtig, sich jetzt zu diesem Thema zu äußern und anderen zu helfen?

Ich möchte den Menschen Mut machen, dass es keine Schande ist, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jeder ist es wert, dass ihm geholfen wird. Das gilt für ein gebrochenes Bein genauso wie für eine gebrochene Seele. Depression ist eine Krankheit, die in den richtigen Händen gut behandelt werden kann. Einmal psychisch krank zu sein, bedeutet nicht, dass man für den Rest seines Lebens psychisch krank sein wird.

Depressionen sind eine weit verbreitete Krankheit, aber keineswegs ein Charakterfehler. Es gibt mehr Menschen mit Depressionen als mit Diabetes. Als Gesellschaft sprechen wir offen über Diabetes und stigmatisieren diese Krankheit nicht. Genau das würde ich mir für alle psychischen Erkrankungen wie Depressionen wünschen.

Ich habe heute großen Respekt vor den Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden und jeden Tag dafür kämpfen, dass ihr Leiden etwas weniger schmerzhaft ist. Und vor ihren Angehörigen, die für mich die vergessenen Helden unserer Gesellschaft sind!

Über meine Krankheit und meine Genesung habe ich in dem Buch „Nach Grau kommt Himmelblau“ geschrieben. Es war mir wichtig, dass auch meine Frau erzählt, wie sie mit meiner Depression umgegangen ist und mir geholfen hat, ohne selbst zusammenzubrechen. Die Resonanz auf dieses sehr persönliche Buch hat mich überrascht. Schließlich bin ich nur Patient und kein Experte. Aber vielleicht ist es das, was anderen Mut macht.

Verpassen Sie diesen Vortrag nicht.

Melden Sie sich jetzt für das CompTIA Community - DACH Meeting am 14. März in München an. Dr. Thomas Reinbacher wird dort von seinen Erfahrungen berichten und Tipps geben, wie man selbst psychisch gesund bleiben kann.

Newsletter Sign Up

Get CompTIA news and updates in your inbox.

Subscribe

Read More from the CompTIA Blog

Leave a Comment